NEUE HEIMAT Ebba Jahn BRD 16mm 1982 15'
NEUE HEIMAT Ebba Jahn BRD 16mm 1982 15'
Protagonistin: Eva Gagel
Kameraassistenz: Sibylle Tiedemann
Aufnahmeleitung: Ingrid Oppermann
Licht & Bühne: Nora Bierich
Ausstattung: Britta Schneider
Schnitt: Heide Breitel & Ebba Jahn
Ko-Produktion: Literarisches Colloquium, Ursula Ludwig & SFB, Jürgen Tomm
Idee, Regie, Kamera: Ebba Jahn
NEUE HEIMAT Wiederaufführungen:
EMBEDDED ART - AdK / Deutsches Historisches Museum Berlin Zeughauskino 2/2009
West-Berlin 80er Programm Auswahl:
TOPKINO Wien 11/2009
skulptur projekte münster 7/2007
Filmforum HBK Braunschweig 5/2007
Arsenal Kino Berlin 10/2006
VERLEIH / DISTRIBUTOR
Fotos von NEUE HEIMAT Filmkopie: Marian Stefanowski / Arsenal
Mit bunten Zivilschutzfibeln und Anleitungen für den privaten Bunkerbau sollte der Bevölkerung in Aussicht gestellt werden, man könnte einen Atomkrieg ohne Problem überleben: "Die unsichtbare Sicherheit!" oder "Schutzraum schützt Leben und Eigentum bombensicher" lauteten die Slogans. Bei näherem Hinsehen jedoch entbot sich schnell die Absurdität der erfolgversprechenden Bewältigung eines atomaren Schlags gegen deutsche Städte.
Ebba Jahns Beitrag zu Aus heiterem Himmel, der 15 -minütige Film Neue Heimat (BRD 1982), führt dies auf nüchtern-ironische Weise vor Augen. Der Film begeleitet seine Protagonistin, gespielt von Eva Gagel, in die U-Bahnstation Pankstrasse im Wedding, die bei der 1977 eröffneten Verlängerung der U-Bahn Linie 8 so gebaut worden war, dass sie auch als moderner Schutzbunker nutzbar ist.
Stählerne Schienentore können den Bahnhof luftdicht verschliessen; Sanitärräume und eine Notküche sind ebenso vorhanden wie Dieseltanks für die Luft-und Stromversorgung. Während Jahns Kamera die Räume abtastet, gibt eine männliche Kommentarstimme die für den Ernstfall vorgesehenen Funktionen und Verhaltensregeln wieder. Kaum vorstellbar, was unter den realen Bedingungen von Panik und Chaos wirklich geschehen wäre, die so genannte Mehrzweckanlage sollte etwa 3300 Menschen für mehrere Wochen Schutz bieten. Sie stellt damit die viertgrößte Zivilschutzanlage Berlins dar und ist auch heute noch voll ausgestattet und funktionsfähig. (Florian Wüst*)
Seit 2006/2010 ist NEUE HEIMAT beim Arsenal (s.o.) im Verleih:
Stefanie Schulte Strathaus und Florian Wüst zeigen den Film u.a. in einer Filmreihe, zu der sie auch ein 240-seitiges Buch herausgaben:
Wer sagt denn, dass Beton nicht brennt,
oder hast Du's probiert?
Film im West-Berlin der 80er Jahre
In seinem Artikel Ernstfall in Echtzeit stellt Florian Wüst
der obigen Filmbeschreibung von NEUE HEIMAT folgenden Absatz voran:
Private Überlebensfreude
Die über den frühen 1980er Jahren schwebenden Zukunftsgefahren wurden nicht nur von den unabhängigen Super-8-FilmerInnen aufgegriffen und künstlerisch verarbeitet. Neben einer Vielzahl von Dokumentar - und Agitationsfilmen aus dem Umfeld der Ökologie- und Friedensbewegung entstanden auch in subalternen Bereichen des institutionellen Filmschaffens Projekte, die angesichts des Themas eines möglichen Atomkriegs nach einer Synthese von formaler Innovation und politischen Inhalten suchten.
Ein besonderes Beispiel hierfür ist der Film Aus Heiterem Himmel von 1982, ein in Kooperation mit dem Sender Freies Berlin (SFB) und dem Literarischen Colloquium hergestellter, abendfüllender Episodenfilm gegen das Wettrüsten im Kalten Krieg und über Friedensbemühungen von Frauen. Mit der Arbeit im Kollektiv vollzogen die acht Regisseuren Marie-Susanne Ebert, Ebba Jahn, Barbara Kasper, Anke Oehme, Ingrid Oppermann, Renate Sami, Claudia Schilinski, Monika Funke Stern und Angi Welz-Rommel, alle Mitglieder des 1979 gegründeten Verbandes der Filmarbeiterinnen, einen bewußten Bruch mit produktionstechnischen Konventionen und Abhängigkeiten.
Aus heiterem Himmel, das erste große Projekt der Filmarbeiterinnen sollte kein "Friedensepos" sein, sondern beabsichtigte, die Ursachen und Folgeerscheinungen der atomaren Abschreckungslogik aufzuzeigen und zu analysieren.
Der Nato-Doppelbeschluss 1979 und darauf folgende Stationierung von Marschflugkörpern und Mittelstreckenraketen des Typs Pershing-II auf dem Gebiet der Bundesrepublik schien zu beweisen, wie real die Bedrohung war. "Visit Europe as long as it still exists" war einer von vielen makaberen Sprüchen, die bei nicht wenigen Gänsehaut hervorriefen. Auch wenn die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs nie wieder so akut war wie zum Höhepunkt der Kuba-Krise im Oktober 1962 und trotz der Entspannungspolitik und den Versuchen bilateraler Rüstungskontrolle in den 1970er Jahren die ideologische wie militärische Aufrüstung lief bis mindestens 1986 auf Hochtouren lief - vorangetrieben durch die lange unversöhnliche Haltung der USA unter Ronald Reagan - , und die Inkaufnahme des Ernstfalles war stets Bestandteil sowohl der sicherheitspolitischen Rhetorik als auch der Maßnahmen für den Zivilschutz.
*©Florian Wüst: Wer sagt denn, dass Beton nicht brennt, oder hast Du's probiert? Film im West-Berlin der 80er Jahre,S. 152-153.
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ARTIKEL
TAZ 26.02.09 von Katrin Bettina Müller
Heimat im Bunker
Der Schutzraum als Partykeller: Das spannende Filmprogramm zur Ausstellung "Embedded Art" Heimat im Bunker
(...) "Machen Sie aus Ihrem Schutzraum einen fröhlichen Partykeller" war eine der bundesrepublikanischen Broschüren überschrieben, die Ebba Jahn, Mitglied im frisch gegründeten Verband der Filmarbeiterinnen, 1982 zu ihrer Episode "Neue Heimat" inspirierte. Damals klang das Versprechen von Sicherheit nur noch wie ein zynischer Witz, und das Durchspielen der Verhaltensregeln mutet wie absurdes Theater an. Die Rhetorik der Zivilschutzbehörden schaut nicht über den Bunkerrand und stelzt an allen sich aufdrängenden Fragen mit aufgesetzter Blindheit vorüber. (...) >>>